Metallische Attraktivitäten: (Geladene) Dinge in der Hand

DINGE IN DER HAND, DIE SACHEN MACHEN
Vom Sich-Schützen mit dem Finger am Abzug
Ein Radiofeature der Gruppe gecko art

Nachhören des Features (auf AUDIO AM BRETT)
Anhören von Feature und Teaser (am Cultural Broadcasting Archive)

Erstausstrahlung: DO, 18.08.2016, 16.00 Uhr (O94SPEZIAL auf Radio Orange)
Rebroadcast: MI, 24.08., 11.00 Uhr, und SA, 27.08.2016, 13.00 (Radio Y, NÖ)
Dieses Radiostück wurde zum Radiopreis der Erwachsenenbildung 2015/16 nominiert.

thing001squEs sind Hörperspektiven zu Wechselwirkungen zwischen Schusswaffe und BesitzerIn. Es sind Überlegungen zum bloßen Besitzverhältnis zwischen BürgerIn und Waffe – ein Verhältnis, dessen Problematik erst bei Waffenanwendung allgegenwärtig wird und dann heftige Debatten auslöst, die nicht selten in einem Links-Rechts-Hickhack verebben. Das 22minütige Radiofeature des gecko art-Teams sucht nicht nach Schuldigen, sondern wirft grundsätzliche Fragen auf. Es sind Fragen, die privates und öffentliches Zusammenleben betreffen, Koexistenz von Menschen, von denen jeder seine Sorgen, Ängste, Verletzungen, Beleidigungen, Enttäuschungen, Bedürfnisse und so weiter (mitunter tief) in sich trägt – unabhängig von Bildungsstand, sozialer Integration oder gesellschaftlichem Status.

thing002squ„Dann zielen wir….“

flüstert das Ding im Feature seinem Besitzer ins Ohr und meint weiter: „… und DU drückst ab“. Dabei wird offen gelassen, wer oder was als Ziel dient. Vielleicht ist es nur eine Attrappe in einer von zahlreichen Übungseinrichtungen, die mit eindrucksvollen Animationen in Kellern von Waffengeschäften untergebracht sind. Und wenn man/frau (vorwiegend man – machen wir uns nichts vor) ein Ding in der Hand hält, streift man mit seinem Zeigefinger mehr oder weniger liebevoll über den Abzug, ohne ihn zu betätigen. Die Versuchung ist mitunter groß. Und so sinniert das Ding im Audiofeature weiter: „Du hast mich in der Hand – aber ich habe dich ebenfalls in der Hand!“ Allein schon diese Wechselbeziehung, diese mitunter verhängnisvolle Attraktivität, diese individuelle, wahrscheinlich uralte Verteidigungsgemeinschaft von Mensch und Waffe warf und wirft zu allen Zeiten dringliche Fragen auf. An anderer Stelle im Feature heißt es dazu: Freiheit dank Waffen oder Freiheit ohne Waffen, Sicherheit dank Waffen oder Sicherheit ohne Waffen?

Zum Audiofeature

Ausgehend von einer Newsline zu Delikten aus den Monaten Jänner bis Juni 2016, in denen private Schusswaffen eingesetzt wurden, wendet sich eine Faustfeuerwaffe mit eigener, metallisch klingender Stimme mehrmals an ihren Besitzer, um das gegenseitige Besitzverhältnis zu vertiefen („Wir sind doch schon eine geraume Zeit ein Paar“). Rund um diese Zuflüsterungen sind Überlegungen platziert, u.a. zu Sicherheit, individueller Bewaffnung, Gewaltmonopol des Staates, Selbstschutz, subjektivem Sicherheitsgefühl, zu Freiheit und Waffen, Waffenpsychologischem Gutachten. Den Abschluss bilden Notizen zu zentralen Passagen aus dem Österreichischen Waffengesetz 1996.
SprecherInnen: Evelyn Blumenau, Klaus Haberl, Barbara Stieff und Walter Kreuz
Text: Walter Kreuz
Gestaltung, Sound und Produktion: gecko art (Wien, Juli 2016)

Nach Gründen grundeln

Oft ist es ein Mix aus mehreren Parametern, der bei einer Privatperson zum Entschluss führen kann, sich zu bewaffnen. Etablierung eines persönlichen Verteidigungsmodus, gesteigerte Schutzmaßnahmen für sich und Angehörige könnten ebenso ausschlaggebend sein wie psychische Verfassung, Vertrauensverlust (in andere und/oder in den demokratischen Staat als Souverän), gefühlte Verunsicherung oder unkritischer Medienkonsum und eine Flut von Verunsicherungs-Meldungen, deren Rezeption man/frau als SeherIn, HörerIn oder LeserIn stets hinterherhinkt. Diese Liste könnte wohl beliebig fortgesetzt werden.

thing003squWaffe im Haus, Waffe in der Öffentlichkeit

Was bedeuten Schusswaffenbesitz und Schusswaffenverfügbarkeit für eine Person, für ihre Familie, für ihren Freundeskreis, für die Öffentlichkeit? Wo soll dieses Ding – gesetzeskonform – zuhause aufbewahrt werden? Verändert der Besitz einer Waffe einen Menschen? Verändert er die Kommunikation, verändert er das Streiten (was ja auch Teil von Beziehungen unter Menschen ist)? Androhung von Gebrauch der Waffe im Haus als (äußerstes) Argument in der verbalen Auseinandersetzung – schon einmal erlebt? Waffen generell und insbesondere Waffen im Haus verändern Menschen und ihr Umfeld. Allein schon mit dem Entschluss, sich eine Waffe zuzulegen (ohne Unterscheidung von legal oder illegal), geht eine Änderung des Lebensmodus einher.

thing004squSensibilisierung und Diskussion

Trotz einer mitunter subjektiv gefühlten Verunsicherung im öffentlichen Raum: Waffenbesitz und Waffenverfügbarkeit werden immer häufiger kritisch hinterfragt. Hier ist auch die Berichterstattung in die Pflicht genommen. Effektvolle Vermittlung von Szenarien nach Tatbegehungen, Wiedergabe von und Partizipation an Ohnmacht und Schrecken nach Schusswaffenattentaten – in einer Zeit von Quotendruck und Zugriffs-Konkurrenz zwar nachvollziehbar. Trotzdem, es geht letztlich um die Aufarbeitung von ganzen Geschichten, die beim Individuum beginnen und bereits jene Zeitspannen fokussieren, in denen die Waffe ihre Zeit „in Stille verbringt“, jene Zeitspanne also, bevor psychisch labile Phasen von WaffenbesitzerInnen eintreten. Das Radiofeature Dinge in der Hand, die Sachen machen möchte einige dieser Aspekte als akustische Momentaufnahmen und Reflexionen ins Hörinteresse rücken.

Link-Auswahl

11. November 2016 / medianet / Österreich und die Büchse der Pandora
07. November 2016 / Tageszeitung DER STANDARD / 48-Jähriger hortete illegal Waffen und Granaten
19. Oktober 2016 / Tageszeitung DER STANDARD / Stiefbruder in Wien getötet
17. Oktober 2016 / Tageszeitung KURIER / Oberösterreich: „Fehlschuss“ traf 50-Jährigen im Gesicht
09. Oktober 2016 / Tageszeitung DIE PRESSE / Schwangere mit Polizeipistole getötet
06. Oktober 2016 / Tageszeitung KURIER / Selbstmord in Spillern: Mann hatte mehrere Waffen im Auto
30. September 2016 / Tageszeitung DER STANDARD / Waffen im Haushalt: Höheres Sicherheitsgefühl oder mehr Unsicherheit?
28. September 2016 / Tageszeitung DER STANDARD / Waffenbesitz in Österreich: Lebensgefährlich
28. September 2016 / Tageszeitung DER STANDARD / Fast 20 Prozent mehr Waffenbesitzer als vor zwei Jahren
03. September 2016 / Tageszeitung KURIER / Mann schoss in Kaprun auf Syrer: Festnahme wegen Mordversuchs
24. August 2016 / Tageszeitung DIE PRESSE / Waffenbesitzer: Anstieg von 11,4 Prozent
08. August 2016 / Tageszeitung KURIER / Waffen bieten nur Scheinsicherheit
27. Juli 2016 / Radio FRO, Linz / Privater Waffenbesitz in Österreich
20. Juli 2016 / Tageszeitung DIE PRESSE / Österreich rüstet illegal auf
20. Juli 2016 / ORF FM4 / Österreich rüstet auf
11. Juli 2016 / ORF Ö1 Morgenjournal / Veraltete Waffenkartentests
06. Juli 2016 / ORF Ö1 Morgenjournal / Österreich rüstet auf – Immer mehr Privatwaffen
15. Juni 2016 / Tageszeitung DER STANDARD / Österreicher rüsten mit Pfeffersprays und Waffenscheinen auf
14. März 2016 / Radio FREEQUENNS / Freies Radio im Ennstal / Waffenboom durch Angst (…)
05. Dezember 2015 / Tageszeitung DIE PRESSE / Land unter Waffen (…)
28. Oktober 2015 / Tageszeitung KURIER / Waffen zur Selbstverteidigung boomen
18. Jänner 2013 / Neue Zürcher Zeitung / Weder sicher noch frei